Aufbruch - Einbruch? Ausbruch? Abbruch? Umbruch?

Bevor ein Werbeprofi ein Titelwort riskiert, prüft er die Passung der Wortverwandtschaft. Da fällt ihm sofort auf: „Aufbruch“ aktiviert ungünstige Gedankenverbindungen. „Aufbruch“ war über Jahrzehnte der Alarm-Code der national belebten 1900er Generationen und deren Erben. Er läutete die „neue Zeit“ ein, beschwor die „neue Welt“ und deren „riesige Potenziale“ im Osten. Fanfare und Trommel begleiteten den Aufbruch, der zu spät als Alptraum einer Rückeroberungsphantasie erkennbar wurde.





Aufbruch

Aufbruch ist aber auch vielen Jagdschein-Inhabern geläufig. Die Beute wird aufgebrochen, der dampfend-frische Aufbruch gehört der Meute. So beschreibt es Jagdklassiker Hermann Löns geradezu inbrünstig. Das führt aber dann doch zu weit vom Thema weg (Sie erinnern sich? Digitalisierung!).

Da liegt rein konstruktiv der Einbruch näher. Man kommt leicht auf die Erklärung, warum gewisse Manager den allzu zwielichtigen Einbruch durch das lateinische disruptio ersetzt wissen wollen. Da tut es gut, dass zumindest die Börse vorerst beim Kurseinbruch bleiben will. Man muss nicht gleich an die dänische Olsenbande denken – auch dann nicht, wenn der Innenminister persönlich die jährlichen Entwicklungsprozente der Einbruchsdelikte wieder aufsagt.

Ein redlicher Werbetexter würde hier bereits zum sofortigen Abbruch raten. Er würde vielleicht noch seine Stoffsammlung „bruch-Wörter“ ordnen und übersichtlicher auflegen, um mit einem der friedlicheren Exemplare aus dem Pulverfass unserer Wortbruchstücke einen neuen Umbruch anzulegen.

Quereinsteiger aus dem Journalismus, aus der Reise- und Romanschriftstellerei, aus der Reden- und Predigtbranche und vor allem aus der Lyrik – sie müssen sich bei Werbeaufträgen anstrengen. Wohl wahr, Werbung bringt gutes Geld. Der junge Bert Brecht erschrieb sich 1926 sogar einen veritablen Straßenkreuzer der Marke Steyr mit dem Slogan „Unser Motor ist: Ein denkendes Erz“.  

Auch Kurt Tucholsky mischte sich gutgelaunt ein: 

                            Mein lieber guter Tengelmann,                                                was geht mich denn dein Kaffee an?                                               Und deine Teeplantage …?                                              Ach, leck mich doch'... …….!“,

Das ehrgeizige Werbewerk des Google-Teams ist auf Höheres aus, will „eine Idee vom Stand der Digitalisierung vermitteln und zeigen, wo an besonders spannenden Projekten gearbeitet wird“. Die Beiträge wollen „inspirieren, motivieren oder zu eigenem Handeln anregen“ – so die No-Names im „Team von Google.“  Darauf haben sie aber dann doch verzichtet. Das ist allerfeinste Datenschutzpraxis. Denn wer käme jetzt noch darauf, unter den allein in Deutschland wohl gut über tausend Google-Teams die Autoren dieser schmalen Google-Bibel zu identifizieren? („Team“ bedeutet nur  „Ochsenjoch“!)













"Wo wird’s digital?“ 
fragen die Teamster gleich nach dem Inhaltsverzeichnis. Vollmundig hatten sie „neue Impulse aus den Metropolen angekündigt - 21 frische digitale Ideen“ aus Berlin, Hamburg und München. Wo es digital wird, muss also niemand mehr um die Zukunft bangen? Die dann folgenden Beispiele sollten das beweisen, sie signalisierten allerdings weder Frische noch Ideen. Im Kopfhörer eines wohlbekannten Berliner Ausstellungsführers (seit 1910) steckt seit neuestem tatsächlich ein elektronisches Bauteil. Digital? Naja. Ein anderer verleiht 150 Elektroroller, sogar batteriebetriebene und sonstige Automobile und hat doch – dieser Teufelskerl! – in den altbekannten Verleihprozess das ein oder andere Elektronische eingebaut. (Lasst uns rätseln, ob das schon künstliche Intelligenz oder doch erst Digitalisierung ist!) In Hamburg bestaunt Google, wie einfach und frisch die alten smart watches zu ersetzen sind für den bestimmt nicht alltäglichen Fall, dass eines Tages ein paar tausend Läufer induktionskontrolliert den beliebten Rundkurs um die Außenalster abarbeiten. „So geht digital!“ würde spontan applaudieren, wer mit „solutions“ dieser Art etwas anzufangen weiß.














Wer nach all dem daran glaubt, er habe Information aus der Google-Digitalwelt bekommen, der kann und darf zufrieden seiner Wege gehen. Dankbar wird er seine Regierung preisen: Sie brachte „digital“ in die Umgangssprache und will wohl weitermachen. Erst in einem zweiten Anlauf wird die Regierung in gebotener Vorsicht preisgeben, ob Digitalisierung als eine zum Beispiel „technologische Worthülse“ Karriere machen oder doch eher als neues Grundelement einer Zukunfts-Konsum-Kultur die kommenden Generationen an das nächste Jahrtausend heranführen soll (sic!). So originell wie zuvor jubelt das Team: „Fit für die digitale Welt“.

Ob mit dem Aufbruch ins Digitale ein Ausbruch aus der der analogen Welt zu schaffen ist? Virtuell vielleicht!!

 







 Unser Autor  

Ge­org M. Sie­­­ber, Jahr­­­­­gang 1935, ist Di­­­­­plom­­­psy­­­­cho­­­­­­lo­­­ge in Mün­­­­­chen. 1964 grün­­­­­de­­t­e er sein In­­­s­­ti­­­­­tut für An­­­­­­ge­­­­­­wand­­­­­te Psy­­­­cho­­­­­­lo­­­­gie, die In­­­­­te­l­­l­i­­­­­genz Sys­­­­tem Tran­s­­­­­­fer GmbH (11 Nie­­­der­­­­­las­s­­­un­­g­­en). Sein per­­­­­­sön­­­­­­li­ch­­es In­­­­­te­r­­­­­es­­­sen­­­­­­ge­­­­­biet sind Schrif­­­­t­­en his­­­­­­to­­­r­­i­sch­­­­er Vor­­­­­­läu­­f­­­er der heu­­­­t­­i­­­gen Psy­­­­­cho­­­­­­lo­­­­­gie, de Fe­­­­de­­r­­­i­­co II., Ma­­­chi­a­­­­vel­­li, Pa­­­l­la­­d­i­o, Í­­ni­­go Ló­­pez de Lo­­­yo­­­la u.a.

Für den fach­­­­­li­ch­­­en Aus­­­­­tausch steht er ger­­­ne zur Ver­­­­­fü­­g­­­ung: 089 / 16 88 011 oder per e­Mail:

Georg.Sieber@IST-Muenchen.de

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