Wenn ein Spaßvogel über Bewerbungen entscheidet

Der revolutionäre Gedanke: ein Spaßvogel soll darüber entscheiden, wer künftig das Sagen im Betrieb hat. Dafür kassiert der Spaßvogel sogar ein Honorar samt Mehrwertsteuer. Schon sein erlesenes Vokabular steht für herausragende Kennerschaft. Wie es scheint, versteht er seinen Job. Er gibt sich angenehm bescheiden. Das schafft Sympathie. Sein Wortschatz ist ganz auf glaubensbereite Gesprächspartner ausgerichtet.

Beispiel: Er sagt, der Arbeitgeber suche doch gewiss den Richtigen für sein Unternehmen, die „fähigste Person“ also. Damit will er sagen: „Ich kenne Ihre Sorgen, weiß was Sie brauchen. Vertrauen Sie mir!“ Er räumt ein: Aussehen, Alter, Geschlecht und Kleidung spielten immer eine Rolle - „wenn auch unbewusst.“ Man könne aber auch nicht alles über den Bewerber aus dem Lebenslauf „herauslesen.“ Nein, er kennt, ganz Wissenschaftler, wirklich seine Grenzen. Deswegen lasse er künstliche Intelligenz (KI) für sich arbeiten, beruhigt er. Mit der könne er „die Persönlichkeit und die Eignung eines Bewerbers besser einschätzen“. KI mit Algorithmen kommt natürlich besser an als die Glaskugel von vorgestern


Der Spaßvogel hat sich als „promovierter Psychologe“ vorgestellt. Das macht Eindruck. Der Nachteil: So präsentiert sich kein Mann vom Fach. So redet allenfalls ein blasser Verkaufsschwätzer ohne Hintergrund. Der hier redet vom „Arbeitgeber“ und vom „Unternehmen“ – obschon man gleich weiß, dass er nur einen Betrieb und dessen Leiter gemeint haben kann. Wenn er doch wenigstens „Chef“ statt „Arbeitgeber“ gesagt hätte! Genauso gut hätte er Vorstandsmitglied, Geschäftsführer, Bereichs- oder Ressortleiter oder Personalleiter sagen können. Nein, er sagt ganz hölzern „Arbeitgeber“ – wie ein Jura-Student oder wie ein angelernter Gewerkschafter nach der ersten Schulung.


 

Bald soll es digitaler kommen: Der Promovierte und seine Start-up-Freunde verabreden dann mit dem Bewerber telefonisch, dass er bitte einfach einen Online-Link passend zur Stellenbeschreibung mit seinem „persönlichen“ Steckbrief schicken soll. Da sind die KI-Genossen der Familie Algorithmus gleich am Ball. Sie deuten die Stimmlage und die Wortwahl, übersehen auch keine egozentrische Neigung, aber auch keinen wertvollen Charakterzug. Grundehrlich sagt der Spaßvogel, es gebe keine absolute Sicherheit bei der Auswahl eines Bewerbers. Echt jetzt? Seine Methode namens Retorio biete immerhin „Unterstützung für die Unternehmen“. Auch auf dem englisch-sprachigen Markt gebe es bereits Ähnliches: „Hirevue“ und „Hire IQ“. Da bleibt nur noch zu hoffen, dass nicht sämtliche gutgläubigen Anfangssemester schon im Februar 2019 in ihrer Tageszeitung über all das lesen mussten. Der nieder-schmetternde Eindruck von der Intelligenz und Leitungsqualität in süddeutschen Betrieben könnte sie womöglich traumatisieren.

Man muss keine große Feldforschung bemühen, um eine typische „Personalbeschaffung“ kennen zu lernen. Wie man hört und liest, reagieren die meisten „Jobsucher“ auf eine Annonce, schicken ihre „Bewerbung“ mit Lebenslauf an die angegebene Adresse und werden günstigen Falls zu einem Vorstellungstermin eingeladen. Dort stellt der Spaßvogel des Betriebs mit oder ohne overhead-Folien die Branche, den Betrieb und dessen Leistungsspektrum vor. Nach ein paar Fragen zu den Motiven des Bewerbers (evtl. „Gehaltswünsche“) hat der die Prozedur überstanden. Danach beginnt eine Wartezeit von Tagen oder Wochen bis zu einer Zu- oder Absage. Ein durchschnittlicher Betrieb bringt es auf vier bis fünf Bewerbungstermine im Jahr.

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) erklärt, was dabei jeweils zu beachten ist. In Deutschland gelten die deutschen Gesetze. Wer das (noch) nicht weiß, riskiert ein bitteres Verlustgeschäft. Jeder unzufriedene Bewerber, aber auch der auftraggebende Betrieb selber könnte den pseudoprofessionellen Auswahlhelfer zur Kasse bitten. Für die rechtlich unterschiedlichen Aspekte stehen sogar unterschiedliche Rechtswege offen. 



Ärger kann es auch geben, wenn nicht korrekt zu begründen ist, welche Eigenschaften und Merkmale auf welche Weise geprüft wurden. Leider kennen sehr viele „Personaler“ auf derartige Fragen keine nachvollziehbare Antwort. Was denn die dringend gesuchte Person genau können und vorweisen müsse, wird auch dem Bewerber nur sehr ungern erklärt. Dank der deutschen Kammerinstitutionen gibt es dazu wenigstens für Lehrberufe plausible schriftliche Angaben. Demgegenüber gibt es für die Mehrheit der sogenannten Erfahrungsjobs nichts Vergleichbares – auch nicht für die Leitungstätigkeiten. Da ist die Phantasie gefragt. Zwar reden agenturgeschulte Unternehmens- und Personalberater oft und gern vom „Anforderungsprofil“, das ist aber nur ein Phantom. Es handelt sich meistens um eine Wunschliste, auf der ein stets ungenannter Autor zusammengestellt hat, welche Vorteile man sich von dem Bewerber verspricht oder erhofft. In derlei „Profilen“ findet ein Arbeitsgericht kaum jemals zufriedenstellende Hinweise auf die konkrete Arbeit. Wer dazu den künftigen Vorgesetzten als Zeugen anführt, den Ressortleiter oder gar den obersten Chef, bekommt leider nur selten eine passende Antwort. Der Grund: Was ein Bewerber künftig konkret tun soll oder müsste, ist für Arbeitsrechtler wie auch für Wirtschaftswissenschaftler kein Thema. Dem Spaßvogel kann das nur recht sein. 

Damit würde sich natürlich das bequeme Ritual der Personalauswahl erübrigen. Da ist dem Bewerber nur zu raten, er solle vor allem stets aufmerksam zuhören, hin und wieder zustimmend zu nicken und sich zum Abschied überschwänglich für die Bewerbungschance danken. Wenn das Arbeitsangebot übrigens ernst zu nehmen wäre, würde er die bis heute erfolgreichsten Methoden der Personalauswahl kennenlernen: die Probearbeit, eine Probezeit nicht unter 6 Wochen und ein paar gemein-same Mahlzeiten mit seinem Chef. Ernster (und zuverlässiger) sind nur Messverfahren, deren Anwendung allerdings eine solide Kenntnis der künftig zu leistenden Arbeit voraussetzt.  




 



Unser Autor  

Ge­org M. Sie­­­ber, Jahr­­­­­gang 1935, ist Di­­­­­plom­­­psy­­­­cho­­­­­­lo­­­ge in Mün­­­­­chen. 1964 grün­­­­­de­­t­e er sein In­­­s­­ti­­­­­tut für An­­­­­­ge­­­­­­wand­­­­­te Psy­­­­cho­­­­­­lo­­­­gie, die In­­­­­te­l­­l­i­­­­­genz Sys­­­­tem Tran­s­­­­­­fer GmbH (11 Nie­­­der­­­­­las­s­­­un­­g­­en). Sein per­­­­­­sön­­­­­­li­ch­­es In­­­­­te­r­­­­­es­­­sen­­­­­­ge­­­­­biet sind Schrif­­­­t­­en his­­­­­­to­­­r­­i­sch­­­­er Vor­­­­­­läu­­f­­­er der heu­­­­t­­i­­­gen Psy­­­­­cho­­­­­­lo­­­­­gie, de Fe­­­­de­­r­­­i­­co II., Ma­­­chi­a­­­­vel­­li, Pa­­­l­la­­d­i­o, Í­­ni­­go Ló­­pez de Lo­­­yo­­­la u.a.

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